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  • AutorenbildMakoto Takeda

Der Blind-Spot globaler Konferenzveranstaltungen

Aktualisiert: 18. März 2021

Alle Redner haben ihre Präsentationen perfekt vorbereitet. Die Videos sind mit viel Aufwand und Sorgfalt produziert worden. Es ist überhaupt sehr viel Geld investiert worden in die Veranstaltung. Doch was hören die Zuhörer in aller Welt, wenn Dolmetscher dazwischen geschaltet sind?


Sie hören das, was gedolmetscht worden ist. Und was ist gedolmetscht worden? Das, was der Dolmetscher/die Dolmetscherin verstanden hat.


Auch der talentierteste, erfahrenste Dolmetscher der Welt ist ohne Vorbereitung auf den Einsatz wie ein Reiter auf einem ansonsten schnellsten Pferd der Welt, das aber die Tage vor dem Wettlauf nicht genug gefüttert wurde. Die Vorbereitung, das Futter fürs Pferd, das sind die Präsentationsfolien, die Redemanuskripte, die Videos. Die er vorher gründlich studieren und verdauen muss.


Heutzutage ist es leider nicht nur eine Seltenheit, sondern fast die Regel geworden, dass das Dolmetscherpferd ohne bzw. wenig Kalorien im Blut die Rennstrecke betreten muss. Ihm straucheln die Beine, die Knie knicken fast ein, es trabt und galoppiert trotzdem mit aller Kraft - aber wehe, wie flatternd, kommt es dem Reiter vor. Die Zuhörer mögen das nicht merken. Aber der Reiter merkt das schon. Sein Pferd kann eigentlich viel mehr.


Warum passiert so was? Wird noch bis zur letzten Minute an den Folien und Redemanuskripten gefeilt, und der Dolmetscher bekommt sie dann nicht mehr rechtzeitig, um sein Pferd damit zu füttern?


Nein, bei den Rednern sie sind schon alle fertig. Kleine Änderungen mögen noch am Vorabend eingearbeitet werden, das ist aber nicht der Punkt. Die ppt.-Dateien und die Videos aber haben den Dolmetscher nicht erreicht.


Und das ist eine Tragödie für die Redner, und auch für die Hörer*innen der Verdolmetschung. Denn die sorgfältig vorbereitete, durchdachte, und geübte Präsentation kommt bei den Zuhörern, die sie nicht im O-Ton hören, im Dolmetscher-Ton an. Und dieser hört sich, nach dem Gefühl des Reiters zumindest, leider ziemlich schwach und keuchend an. Denn er kennt sein Pferd und weiß, dass es nicht bei vollen Kräften ist.


Die Ursache ist alt, bleibt alt und wird weiterhin übersehen: es ist die lange Kette des Informationsflusses zwischen dem Redner und dem Dolmetscher. Der Redner schickt seine Slides/sein Manuskript an die koordinierende Stelle seines Unternehmens. Diese schickt sie am Vorabend an die Event-Management-Firma, die die Veranstaltung plant, alle Logistik bestellt und managt, und durchführt. Die Event-Management-Firma schickt sie weiter an die Firma, die die Konferenztechnik stellt und organisiert. Diese Firma hat eine Dolmetscheragentur beauftragt. Die Dolmetscheragentur ist der einzige Kontaktpunkt für den Dolmetscher. Der Dolmetscher erinnert seit Wochen die Dolmetscheragentur immer wieder daran, dass die Präsentationen und Videos ihm noch nicht vorliegen. Die Agentur verspricht ihr Bestes zu tun, diese vom Kunden zu bekommen, sie tut das auch wirklich. Die Email von der Dolmetscheragentur wird irgendwann am Abend des Tages von der Firma für die Konferenztechnik gelesen, und am nächsten Tag wird sie weitergeleitet an die Event-Management-Firma. Bei der Event-Management-Firma, wo täglich 100 Emails pro Mitarbeiter reinkommen, bleibt die Email entweder ungeöffnet, oder sie wird erst später gelesen. Vielleicht hat das Flehen der Dolmetscheragentur für sie nicht unbedingt Priorität unter den akuten Herausforderungen und Fragen, die nach einer sofortigen Antwort oder Lösung verlangen. Und als die koordinierende Stelle des Unternehmens, das der Veranstalter des Events ist, schließlich mitbekommt, dass die Slides und Videos bitte spätestens eine Woche vorher bei dem Dolmetscher vorliegen müssen, wollte sie diese gerade abschicken, denn es ist schon der Vorabend.


Man hat den besten Stall mit den schnellsten Pferden und den geschicktesten Reiter*innen bestellt. Die Rennstrecke gebucht. Hunderte von Zuschauern eingeladen. Für diesen Tag so viel Vorbereitung getroffen wie für eine halbe Hochzeit. Und irgendwie war das Futter für die Pferde nicht angekommen. Jetzt aber geht das Rennen los.



Photo by Jeff Griffith on Unsplash - Thank you!



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