top of page
Suche
  • AutorenbildMakoto Takeda

Japanische Worte für Natur

Aktualisiert: 23. März 2021

Das japanische Wort für Natur heißt shizen (自然). In diesem Sinn verwendet wird jedoch das Wort wohl erst ab der Edo-Zeit, als man sich in Japan bewusst wurde, dass man im Japanischen einen solchen ganzheitlichen Begriff der Natur - wie man ihn in der westlichen Philosophie kennt - vermisste. Wie man in Japan zu diesem Wort kam, wird so erklärt:


The word "shizen - 自然" originated in China, first appearing in Lao Tzu. Shizen is a word that describes a state of being, as in "fierce (mozen - 猛然)" or "joyous (kinzen - 欣然)," not a noun that indicates existence. The word "shizen" means a state of being in which there is no human intervention in itself or in all things, a state of being that comes naturally. This meaning remained unchanged for a long time after the Chinese word "自然" was introduced to Japan. In contrast, when Dutch and English studies were accepted in the Edo period (1603-1868), the word "shizen - 自然" was applied as a translation of the English word "nature" and the Dutch word "Natuur," and its meaning overlapped with the previous meaning of shizen - 自然 in Japanese, causing confusion. The ancient Greek word for "nature" is physis, which means "that which arose of its own accord," and it is the antonym of nomos, which means the norms and customs created by man. In other words, shizen - 自然 is a unified concept that refers to all things that have come into being without human intervention. The Japanese view of nature is unique in that it is a mixture of the Western philosophical and scientific view of "nature" as an object of the human mind and perception, and the Eastern and Japanese view of "nature" as a "natural state of being".

(aus My Pedia, Heibonsha. Translated with DeepL, proofread/corrected)



Es wird manchmal behauptet, dass es in der japanischen Sprache mehr als nur ein Wort für Natur geben würde, also mehrere Alternativen zu shizen - 自然. Das machte mich etwas stutzig, weil mir solche Alternativen nicht sofort einfielen. Da habe ich in einem japanischen Wörterbuch für Synonyme nachgeschaut. Und es waren viele aufgelistet.


天地 (Himmel und Erde), 万物 (Alle existierenden Dinge), 森羅万象 (Wälder und andere zahlreiche Naturphänomene in ihrer Gesamtheit), 花鳥風月 (Blumen, Vögel, Landschaft, Mond), 山紫水明 (Tiefe Berge und klares Wasser), 山容水態 (Verschiedene Berggestalten und Wasserformen), 深山幽谷 (Hohe Berge und tiefe Täler), 水天一碧 (Gewässer und Himmel, alles Blaue), 清風明月 (Angenehme Brise und heller Mond), 千山万水 (Tausend Berge und Zehntausende Seen), 白砂青松 (Weiße Sandstrände und grüne Kiefer), 風光明媚 (Schöne und entzückende Landschaften) usw.


Mir fiel noch das Wort 山河 (Berge und Flüsse) ein, wie es im Spruch 国破れて山河あり ("Das Land wurde besiegt im Krieg. Aber gerade in dieser Niederlage wird man doch auf rührende Weise gewahr, dass es sie gibt und sie uns immer noch gehören: unsere Berge, und unsere Flüsse") vorkommt.


Wenn man sich diese japanischen Worte/Begriffskombinationen genauer anschaut, womit das gemeint zu sein scheint, was wir im Westen gemeinhin als “Natur” bezeichnen, fällt auf, dass sie sehr konkret sind - und je nach Kontext den einen Repräsentanten (wie Berge und Flüsse) oder den anderen (Bäume und Blumen) in ihren Kombinationsausdrücken favorisieren.


Es handelt sich hier eigentlich nicht um “Alternativen” zum ganzheitlichen, totalen Begriff der Natur (shizen - 自然), sondern um Synekdochen (ein Begriff aus der Rhetorik, womit der Gebrauch eines Wortes gemeint wird, welches als Teilbegriff auf ein Ganzes hinweist: wie z.B. "Kopf" für ganze Menschen). Der Gebrauch dieser Worte sind wohl alt. Als das Wort shizen in der Edo-Zeit eingeführt wurde in ihrer heutigen Bedeutung, hat die japanische Sprache nicht von selbst die Abstraktion (hin zum einem im hierarchischen Sinne alle Teilbegriffe subsumierenden Oberbegriff) vollzogen und einen totalen Begriff der Natur erschaffen, sondern versucht, sich ein Äquivalent zum europäischen Begriff der Natur zu geben, in dem sie auf einen ursprünglich chinesischen Begriff zurückgegriffen hatte - der eigentlich kein Nomen war, sondern ein Adjektiv: “shizen/jinen: von selbst so-seiend - ohne fremde Intervention”. Mit anderen Worten: der japanische Oberbegriff der Natur shizen - 自然 ist über den Umweg der europäischen Philosophie und eines chinesischen Adjektivs, das einen Eindruck von der inneren Gelassenheit/Selbst-Belassenheit eines Wesens beschreibt, entstanden. In der Literatur wird Ersteres mehr betont; für mich ist aber Letzteres fast noch interessanter: weil shizen dann im Ursprung der Begriffsentstehung in Japan kein “Konzept” oder “Begriff” (ein abstrahierendes sprachliches Abbild eines konkreten oder imaginären Gegenstandes, und damit selbst gegenständlich) war, sondern ein “Eindruck”, ein subjektives Empfinden. Man hat damit also die eigene Empfindung beschrieben, die man beispielsweise vor einem massiven Berg stehend bekommt, und nicht den Berg selbst. Welch eine indirekt-sanfte, erst auf dem introvertierten Umweg entstehende, ehrfürchtige Art der Bezeichnung! Wenn die Sprache die Gestalt einer Hand annehmen würde, so würde die japanische Hand im Moment der Bezeichnung das Bezeichnete nicht "be-greifen" - sondern eher sanft sich an ihm anlegen. Das Bezeichnete möglich belassend in seinem originalen Zustand, nicht scharf abbildend, sondern nur darauf hindeutend. Diese Hand würde wahrscheinlich ungerne zusammenfassen (dafür müsste die Hand sehr groß werden), und im nächsten Schritt abstrahieren. Abstrahierte Wesen aber (v)erblassen vor dem totalen Begriff.


Das erinnert mich an eine grammatikalische Besonderheit der japanischen Sprache, die nicht subsumierend-abstrahierend, sondern konkretisierend sich gebärdet, wenn sie Gegenstände und Lebewesen aufzählt. Die japanische Sprache kann Dinge und Wesen nämlich nicht zählen, ohne ihre Gestalt mitzudenken. 4の牛 (4 Rinder)、3の犬 (3 Hunde)、雀が10(10 Spatzen)、本を30(30 Bücher)、子供が数(einige Kinder)、一の杖 (ein Gehstock)、ポスター2 (2 Poster). Man könnte sagen, dass die japanische Sprache kein abstraktes Zählen kennt. Denn eine Zahl allein hat keine Erscheinung, keinen Körper. Wenn es um Rinder geht, sind es nicht einfach der Rinder vier, sondern 4-Großkörper(Wesen) Rinder. Oder 3-Kleinkörper(Wesen) Hunde. 10-Flügelpaare Spatzen. 30-Bände Bücher. Einige Menschen-Gestalten Kinder. Ein-Längliches(Ding) Gehstock. Zwei Flach-Sheets Poster. Die Bewegung der Sprache ist hin-zum-Gegenstand, zum konkreten Körper, und nicht weg-vom-Gegenstand und zum abstrakten Begriff, dessen abstrakteste Form wohl die der Zahl ist, die alles zu "Exemplaren (von was auch immer)" reduzieren kann.


Ähnlich verhält es sich mit der sogenannten Natur-Erfahrung oder Natur-Empfindung im Japanischen. Mein Erlebnis des Meeres ist ein Erlebnis des Meeres, mein Erlebnis in den Bergen eben Bergerlebnis, und diese Beschreibungen wären mir dann näher als das zusammenfassende, in ihrer Wortbildung gestaltlos gewordene “Naturerlebnis”.

Fazit: im Japanischen gibt es nicht etwa Alternativen zum Wort Natur. Sondern so viele Worte wie es Naturerscheinungen und Naturwesen gibt - noch bevor sie zusammengefasst werden in "Natur".


Quellen



③ besonders 野中涼 (『環境問題と自然保護ー日本とドイツの比較』、1999)

For a long time, the Japanese tended to view the world only subjectively, individually, as a collection of countless individual things, and thus did not have an abstract word for "nature" that would capture everything in its totality. They called it "heaven, earth, mountains, and water," "mountains, rivers, plants, and trees," and "all that is between heaven and earth". They objectified nature and added the European words "Natur" and "Nature" to it.

It was around 1900, when the impact of European scientific culture was felt, that people in Japan began to objectify nature and apply the term "nature" to it, equivalent to the European words "Natur" and "Nature".

(Translated with DeepL, proofread and corrected)


217 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Komentarze


bottom of page